Leila und Majnun

Die Geschichte von Leila und Majnun wird seit Tausenden von Jahren im Osten erzählt und sie hat immer grosse Faszination hervorgerufen, weil es nicht nur eine Liebesgeschichte ist, sondern eine Lektion in Liebe; nicht die Liebe, wie sie die Menschen normalerweise verstehen, sondern die Liebe, die sich über die Erde und die Himmel erhebt. *Hazrat Inayat Khan (1882– 1927)

 Ein Knabe namens Majnun zeigte seit Kindheit an Liebe in seiner Natur, und dem Auge des Sehers wurde die Tragödie seines Lebens darin enthüllt. Als Majnun in der Schule war, bekam er Leila gern. Mit der Zeit wuchs der Funke zu einer Flamme, und Majnun fühlte sich nicht mehr wohl, wenn Leila etwas später zur Schule kam; mit seinem Buch in der Hand schaute er unentwegt zum Eingang, was die Spötter amüsierte und alle störte. Die Flamme wuchs mit der Zeit zu einem Feuer, und Leila's Herz entzündete sich durch die Liebe von Majnun. Sie schauten sich immer wieder an, sie sah niemand anders als Majnun im Schulzimmer, und er sah nur Leila an. Wenn Majnun in einem Buch las, las er immer nur den Namen Leila, und wenn Leila ein Diktat schrieb, stand auf dem Umschlag der Name von Majnun.

'Alles andere entschwindet, wenn der Gedanke an den Geliebten das Gemüt des Liebenden erfüllt.'

Alle in der Schule flüsterten einander zu und zeigten auf sie. Die Lehrer waren beunruhigt und schrieben den Eltern beider Kinder, dass sie verrückt seien und einander unendlich gern hatten und es keinen Weg gebe, ihre Aufmerksamkeit von ihrer Liebesgeschichte wegzubringen; diese hatte allen Fortschritt in der Schule zum Erliegen gebracht. Die Eltern von Leila nahmen sie sofort von der Schule und überwachten sie sorgfältig. So nahmen sie sie von Majnun fort, doch wer konnte Majnun aus ihrem Herz wegnehmen? Sie hatte keinen anderen Gedanken als den an Majnun. Und Majnun ohne sie, mit Unrast und Trauer im Herzen, hielt die ganze Schule in Aufruhr, bis seine Eltern gezwungen waren, ihn nach Hause zu nehmen, weil es dort in der Schule für ihn nichts mehr gab. Die Eltern von Majnun riefen Ärzte, Wahrsager, Heiler, Magier und warfen ihnen alles Geld zu Füssen, um ein Heilmittel dagegen zu finden, dass Majnun den Gedanken an Leila immer im Herz trug. Doch wie war dies möglich? Sogar Luqman, der grosse Arzt des Altertums, hatte keine Heilung für den Liebeskranken. Nie hat je jemand einen Patienten von Liebe geheilt. Freunde kamen, Verwandte kamen, Gutwünscher kamen, weise Ratgeber kamen, und alle versuchten ihr Bestes, den Gedanken an Leila aus seinem Gemüt zu bringen, doch alles war umsonst. Jemand sagte zu ihm, 'O Majnun, warum trauerst du so über die Trennung von Leila? Sie ist nicht schön. Ich kann dir tausend schönere und charmantere Mädchen zeigen, und ich kann dich unter ihnen eine Freundin für dich aussuchen lassen. Majnun antwortete 'O, um die Schönheit von Leila zu sehen, brauchst du die Augen von Majnun.' Als wirklich keine Lösung mehr möglich schien, suchten die Eltern von Majnun die Zuflucht zur Ka'aba als ihre letzte Hoffnung. Sie nahmen Majnun auf die Pilgerschaft nach Mekka mit. Als sie in die Nähe der Ka'aba kamen, drängten sich eine grosse Menge Leute um sie herum, und beide Eltern gingen und beteten zu Gott, 'O Herr, Du bist höchst gnadenreich und barmherzig, gewähre unserem einzigen Sohn Deine Gnade, dass das Herz von Majnun befreit werden möge vom Liebesschmerz um Leila. Alle hörten ganz genau zu, und warteten gespannt darauf, was Majnun dazu sagen würde. Dann baten die Eltern Majnun: 'Kind geh und bete, dass die Liebe zu Leila von Deinem Herzen genommen werden möge.' Majnun antwortete: 'Und wenn ich beten gehe, werde ich dann Leila treffen?' Riesig enttäuscht sagten die Eltern zu ihm: 'Bete, Kind, was immer du beten möchtest.' Er ging dorthin und sagte: 'Ich will meine Leila' und alle, die herumstanden sagten: 'Amen'. 'Die Welt gibt das Echo zum Ruf des Liebenden.' Nachdem die Eltern alle Möglichkeiten ausprobiert hatten, Majnun von seiner Verrücktheit zu heilen, dachten sie, dass es wohl das beste sei, die Eltern von Leila zu besuchen, weil dies die letzte Hoffnung war, das Leben von Majnun zu retten. Sie sandten den Eltern von Leila, die einem anderen Glauben angehörten, eine Botschaft, in der stand: 'Wir haben alles getan, um Majnun den Gedanken an Leila zu nehmen, doch wir haben nichts erreicht, noch ist uns eine Hoffnung geblieben ausser jener, dass Ihr in eine Heirat einwilligen würdet.’ Jene antworteten: 'Obwohl uns dies dem Zorn unserer Leute aussetzt, scheint auch Leila nie einen Augenblick den Gedanken an Majnun zu vergessen, und seit wir sie von der Schule fortgenommen haben, wird sie immer schwächer. Daher sollten wir uns nicht dagegen wehren, Leila mit Majnun verheiraten zu lassen, wenn wir nur überzeugt würden, dass er gesund ist.’ Als sie dies hörten waren die Eltern von Majnun sehr erfreut und rieten Majnun, dass er sich vernünftig benehmen solle, so dass die Eltern von Leila nicht vermuten sollten, er sei verrückt. Majnun war mit allem einverstanden, wenn er nur seine Leila treffen könne. Sie gingen, wie es Brauch ist im Osten, in einer Prozession zum Haus der Braut, wo ein besonderer Platz hergerichtet wurde für den Bräutigam, der mit Blumen überhäuft wurde. Doch wie man im Osten sagt, die Götter seien gegen Liebende, so gewährte das Schicksal diesen vollkommenen Liebenden das Glück des Zusammenseins nicht. Der Hund, der Leila jeweils zur Schule begleitete, kam zufällig in das Zimmer, wo sie warteten. Sobald Majnuns Auge auf den Hund fiel, brachen seine Gefühle hervor. Er konnte nicht auf seinem Sessel bleiben und nur den Hund anschauen. So rannte er auf den Hund zu und küsste seinen Pfoten, und legte alle Blumengirlanden dem Hund um den Hals. Es gab kein Zeichen der Liebe oder Anbetung, die Majnun dem Hund nicht erwies. Dieses Verhalten zeigte klar, dass er verrückt war. Wie die Sprache der Liebe für den Lieblosen Geschwätz ist, so wurde die Handlung von Majnun als Verrücktheit angesehen von denen, die dabei waren. Alle waren sehr enttäuscht und Majnun wurde nach Hause zurückgebracht und die Eltern von Leila verweigerten das Einverständnis zur Heirat. Diese böse Enttäuschung machte die Eltern von Majnun völlig hoffnungslos, und sie wachten nicht mehr über ihn, weil sie sahen, dass ihm gleichgültig war, ob er lebte oder tot war, und dies gab Majnun die Freiheit, in der Stadt herum zu wandern auf der Suche nach Leila, und er fragte einen jeden, den er traf, nach Leila. Zufällig traf er einen Briefboten, der auf dem Rücken eines Kamels Post trug, und als Majnun diesen Mann fragte wo Leila sei, sagte jener: 'Ihre Eltern haben dieses Land verlassen und haben sich hundert Meilen von hier niedergelassen.' Majnun bat ihn, Leila seine Botschaft zu überbringen. Er sagte: 'Mit Vergnügen.' Doch als Majnun ihm die Geschichte zu erzählen begann, erzählte er eine lange, lange Zeit.

 'Die Botschaft der Liebe hat kein Ende.'

Der Briefbote war teils amüsiert und teils bewunderte er seine Ernsthaftigkeit. Obwohl Majnun auf seiner langen Reise zum Gefährten wurde und neben seinem Kamel herging, sagte er ihm aus Mitleid trotzdem: 'Nun bist du zehn Meilen mit mir gelaufen, um mir deine Botschaft zu erzählen; wie lange wird es wohl gehen, bis ich diese Botschaft Leila überbracht habe? Geh nun deiner Wege, ich werde mich darum kümmern.' Da ging Majnun zurück, doch war er nicht hundert Meter weit gegangen, als er zurückkam und sagte: 'O lieber Freund, ich habe noch ein paar wenige Dinge vergessen, die du meiner Leila sagen solltest'. Um diesmal seine Botschaft erzählen zu können, ging er nochmals zehn Meilen auf seinem Weg. Der Bote sagte: 'Bei allen guten Geistern, gehe nun zurück. Du bist schon so weit gegangen. Wie soll ich denn all die Dinge behalten können, die du mir mitgegeben hast? Doch werde ich trotzdem mein Bestes tun. Geh nun zurück, du bist schon weit von zu Hause weg.’ Majnun ging ein paar Meter zurück, und es kam ihm wieder etwas in den Sinn, was er dem Briefboten sagen müsste und rannte ihm nach. So ging er mit ihm den ganzen Weg und schliesslich erreichte Majnun selber den Ort, an dem er seine Botschaft hinschicken wollte. Der Briefträger war erstaunt über diese ernsthafte Liebe und sagte zu ihm, 'Du bist nun schon im Land angekommen, wo deine Leila lebt. Bleib jetzt in dieser Ruine einer Moschee. Sie liegt ausserhalb der Stadt; wenn du mit mir in die Stadt kommst, werden sie dich ergreifen, bevor du Leila erreichen kannst. Das Beste ist nun für dich, hier auszuruhen, weil du so weit gelaufen bist, und ich werde deine Botschaft Leila überbringen, sobald ich sie sehen kann. 'Die Berauschung der Liebe sieht weder Zeit noch Raum.' Majnun hörte auf seinen Rat und blieb dort, und wollte auch gerne etwas ruhen, doch die Vorstellung, dass er in der Stadt war, in der Leila wohnte, brachte ihn dazu zu überlegen, in welche Richtung er wohl seine Füsse ausstrecken sollte. Er dachte an den Norden, Süden, Osten und Westen und dachte bei sich: 'Wenn Leila auf dieser Seite wohnen würde, wäre es unhöflich von mir, meine Füsse dahin auszustrecken. Am besten ist es daher, wenn ich meine Füsse an einem Seil zusammenbinde und ich mich kopfüber an diesen Balken hänge; weil dort oben wird sie sicher nicht sein.' Er war durstig und konnte kein Wasser finden ausser etwas Regenwasser, das in einem lange nicht benutzten Tank war. Als der Briefträger das Hause von Leila's Eltern betrat, sah er Leila und sagte zu ihr: 'Ich musste mich sehr darum bemühen, mit dir sprechen zu können. Dein Geliebter Majnun, der ohne Beispiel ist auf der ganzen Welt, gab mir eine Botschaft für dich, und er hörte nicht auf von dir zu sprechen auf der ganzen Reise, und ist nun bis hierher gekommen mit dem Kamel.' Sie sagte: 'Oh je! Armer Majnun! Mich nimmt wunder, was aus ihm werden wird.' Sie fragte ihre alte Amme, 'Was wird aus einem Menschen, der ohne Unterbruch hundert Meilen gelaufen ist?' Die Amme sagte hart: 'Ein solcher Mensch stirbt.' Leila sagte: 'Gibt es einen Kur?' Sie sagte: 'Er muss etwas Regenwasser trinken, das im Vorjahr gesammelt wurde, und von dem Wasser muss eine Schlange getrunken haben, und dann müssen seine Füsse zusammengebunden werden und er muss lange kopfüber hängen bleiben; dies mag vielleicht sein Leben retten.' Leila sagte, 'Oh, wie schwierig ist es, so etwas zu erreichen!' Gott, der selber Liebe ist, war es, der Majnun führte, daher alles kam so an Majnun heran, wie es am besten war für ihn. 

 'Wahrlich, die Liebe selbst ist Heilerin ihrer eigenen Wunden.'

 Am nächsten Morgen legte Leila ihr Essen beiseite und sandte es heimlich, durch eine Magd, die sie ins Vertrauen zog, mit einer Botschaft an Majnun, um ihm zu sagen, dass sie sich genauso danach sehnte, ihn zu sehen wir er sie, der Unterschied lag lediglich in den Ketten, die sie hinderten; sobald sie die Möglichkeit hätte, würde sie ihn besuchen kommen. Die Magd ging zu der Ruine der Moschee, und sah dort zwei Leute sitzen, der eine ganz in sich versunken, ohne auf seine Umgebung zu achten, und ein weiterer, ein fetter, starker Mann. Sie dachte, dass Leila unmöglich so einen wie diesen Träumer lieben könnte; sie hätte sich dazu nie hergeben können. Doch um sicher zu sein, fragte sie, welcher der beiden Majnun sei. Das Gemüt von Majnun war tief in Gedanken versunken und weit von ihren Worten weg, doch der Mann, der arbeitslos war, freute sich, den Essenskorb in ihrer Hand zu sehen und sagte: 'Wen suchst du?' Sie sagte: 'Mir wurde aufgetragen, dies Majnun zu geben. Bist du Majnun?' Er streckte sofort die Hand aus nach dem Korb und sagte: 'Ich bin derjenige, für den du dies gebracht hast.' und tauschte ein paar Scherzworte mit ihr, und sie freute sich sehr darüber. Als die Magd zurückkam, fragte Leila: 'Hast du es ihm gegeben?' Sie sagte: 'Ja, das tat ich.' Leila sandte darauf jeden Tag einen grösseren Teil ihres Essens ihrem Majnun, und jeden Tag nahm es jener Mann, der sich sehr darüber freute, besonders da er ohne Arbeit war. Leila fragte eines Tages ihre Magd: 'Du sagst mir nie, was er sagt und wie er isst.' Sie sagte: 'Er sagte, dass er dir sehr dafür dankt und er das Essen schätzt, und er ist ein fröhlicher Mann der viel plaudert. Du musst dir keine Sorgen um ihn machen, er wird jeden Tag dicker.' Leila sagte: 'Doch mein Majnun war nie dick, und hatte nie eine Neigung dazu, und er ist zu tief in seinen Gedanken versunken, um nette Dinge zu Leuten zu sagen. Er ist zu traurig, um sprechen zu können.' Leila vermutete sofort, dass die falsche Person das Essen erhalten hatte. Sie fragte: 'Ist sonst noch jemand dort?' Die Magd sagte: 'Ja, da sitzt noch ein anderer, doch er scheint ausser sich zu sein. Er nimmt nie wahr, ob jemand kommt oder geht, noch hört er ein Wort von dem, was die Leute sprechen. Er kann unmöglich der Mann sein, den du liebst.' Leila sagte: 'Ich glaube, dies muss er sein. Oh weh, und du hast die ganze Zeit das Essen einem falschen gegeben! Um sicherzugehen nimm heute ein Messer mit auf dem Teller statt des Essens und sag zu jenem, dem du das Essen gegeben hast, 'Für Leila brauche ich ein paar Tropfen deines Blutes, um sie von einer Krankheit zu heilen.' Als die Magd das nächste Mal zur Moschee kam, kam der Mann wie immer gierig, um sein Essen zu erhalten; doch als er das Messer sah, war er überrascht. Die Magd sagte ihm, dass sie ein paar Tropfen seines Blutes brauchen würde um Leila zu heilen. Er sagte, 'Nein, ich bin ganz gewiss nicht Majnun. Dort ist Majnun. Frag ihn danach.' Die Magd ging dumm zu ihm hin und sagte laut: 'Leila möchte ein paar Tropfen deines Blutes, um sie zu heilen.' Majnun nahm sofort das Messer in die Hand und sagte, 'Wie glücklich bin ich, dass mein Blut meiner Leila nützlich sein kann. Dies ist nichts, sogar wenn ich mein Leben geben müsste, um sie zu heilen, würde ich mich glücklich schätzen, es herzugeben.'  

'Was immer der Liebende tut für den Geliebten, es wird nie genug sein.’

Er stach an mehreren Orten in seinen Arm, doch das monatelange Hungern hatte kein Blut zurückgelassen, nichts als Haut und Knochen. Als er es an vielen Orten versucht hatte, kam ein Tropfen Blut heraus. Er sagte, 'Dies ist, was mir geblieben ist, nimm dies.'

 'Liebe bedeutet Schmerz, doch nur der Liebende allein ist über jeden Schmerz erhaben.'

 Dass Majnun in der Stadt war, wurde bald bekannt, und als Leila's Eltern davon hörten, dachten sie: 'Sicher wird Leila verrückt werden, wenn sie je Majnun sehen wird.' Daher entschlossen sie sich, die Stadt für einige Zeit zu verlassen; sie dachten, dass Majnun nach Hause zurückkehren würde, wenn er herausfand, dass Leila nicht mehr da war. Bevor sie gingen, sandte Leila eine Botschaft an Majnun, in der sie schrieb: 'Wir werden die Stadt für eine Weile verlassen, und ich bin sehr unglücklich, dass ich dich nicht treffen konnte. Die einzige Möglichkeit, uns zu sehen ist, wenn wir uns unterwegs treffen könnten, wenn du vorausgehst und in der Sahara auf mich wartest.' Majnun machte sich glücklich auf, um in die Sahara zu gehen, mit der grossen Hoffnung, seine Leila wiederzusehen. Als die Karawane in der Wüste ankam und Rast machte, waren die Eltern von Leila schon etwas erleichtert, und sie sahen auch, dass Leila etwas glücklicher war über den Wechsel, wie sie dachten ‐ sie kannten den wahren Grund ja nicht. Leila ging auf einen Spaziergang in der Sahara mit ihrer Magd, und traf plötzlich auf Majnun, dessen Augen lange Zeit auf den Pfad gerichtet war, wo sie herkommen musste. Sie kam und sagte: 'Majnun, ich bin hier.' Majnun hatte keine Kraft mehr in seiner Zunge, um seine Freude auszudrücken. Er hielt ihre Hand und drückte sie an seine Brust und sagte, 'Leila, wirst du mich nicht mehr verlassen?' Sie sagte, 'Majnun, ich konnte nur für einen Augenblick kommen. Wenn ich länger bliebe, würden meine Leute nach mir suchen und dann wäre dein Leben nicht mehr sicher.' Majnun sagte: 'Ich habe keine Sorge um das Leben. Du bist mein Leben. O bleibe, verlass mich nicht mehr.' Leila sagte, 'Majnun, sei vernünftig und glaub mir. Ich werde sicher zurückkommen.' Majnun liess ihre Hände los und sagte: 'Sicher glaube ich dir.' So verliess Leila Majnun mit schwerem Herzen, und Majnun, der so lange nur von seinem eigenen Fleisch und Blut gelebt hatte, konnte nicht mehr aufrecht stehen, sondern fiel rückwärts gegen einen Baumstamm, der ihn stützte, und so blieb er, nur die Hoffnung hielt ihn am Leben. Jahre vergingen und dieser halbtote Körper von Majnun war allem ausgesetzt, Kälte und Hitze und Regen, Frost und Sturm. Die Hände, die die Äste hielten, wurden selber zu Ästen, sein Körper wurde ein Teil des Baumes. Leila war auf ihren Reisen so unglücklich wie zuvor und die Eltern hatten die Hoffnung für ihr Leben aufgegeben. Sie lebte nur in der einen Hoffnung, dass sie eines Tages ihr Versprechen erfüllen könnte, das sie Majnun gegeben hatte: 'Ich werde zurückkommen.' Sie fragte sich, ob er noch am Leben sei oder tot, ob er weggegangen sei oder ob ihn die Tiere in der Sahara fortgetragen hätten. Als sie zurückkamen, hielt die Karawane am gleichen Ort, und Leilas Herz füllte sich mit Freude und Sorge, mit Heiterkeit und düsteren Gedanken, mit Hoffnung und Angst. Als sie den Ort suchte, an dem sie Majnun verlassen hatte, traf sie einen Holzarbeiter, der ihr sagte: 'Oh, geh nicht dahin. Da drüben ist eine Art Geist.' Leila fragte: 'Wie sieht er aus?' Er sagte, es ist ein Baum und gleichzeitig ein Mann, und als ich mit der Axt einen Ast abschlug, hörte ich ihn mit einem tiefen Seufzer sagen: 'Oh Leila.' Als sie dies hörte, bewegte sie dies über alle Massen. Sie sagte, sie würde dorthin gehen, und als sie in die Nähe kam, sah sie, dass sich Majnun beinahe in den Baum verwandelt hatte. Fleisch und Blut war alles aufgebraucht, und die Haut und Knochen, die übrig geblieben waren, waren in der Berührung mit dem Baum wie seine Äste geworden. Leila rief ihn laut: 'Majnun?' Er antwortete: 'Leila!' Sie sagte, 'Ich bin hier wie ich versprochen hatte, O Majnun.' Er sagte, 'Ich bin Leila.' Sie sagte, 'Majnun, komm zur Vernunft. Ich bin Leila, schau mich an.' Majnun sagte: 'Bist du Leila? Dann gibt es mich nicht mehr' und er war tot. Leila konnte, als sie diese Vollkommenheit der Liebe sah, nicht einen Augenblick länger leben. Sie schrie zur gleichen Zeit den Namen Majnuns, fiel zu Boden und starb.

'Der Geliebte ist alles in allem, der Liebende verhüllt ihn bloss. Der Geliebte ist alles, was lebt, der Liebende ist ein totes Ding.' 

 *Hazrat Inayat Khan (1882–1927